Leitlinien von Geitner, zum Nachdenken

Foto: © Mo
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Grundlagen für die Pferdeausbildung von Geitner

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SIE STELLEN DIE WEICHEN !


Ob ein bevorstehender Ritt Spaß oder Streß bedeutet, bestimmen Sie - und zwar schon lange vor dem Aufsitzen. Schon wie Sie Ihr Pferd holen, entscheidet darüber. Aus welcher Richtung der Wind bläst, zeigt Ihnen Ihr Pferd: Dreht es Ihnen beim Betreten der Box den Hintern zu und beachtet es Sie nicht, sind das zwei glasklare Botschaften: "Du langweilst mich. Rutsch mir den Buckel runter." Dann gibt es für Sie nur eins: Ihr Pferd muß vor Ihnen dienstbeflissen strammstehen, ohne daß Sie es schlagen. Dazu brauchen Sie die Aufmerksamkeit Ihres Pferds. Nutzen Sie simple Übungen: Gehen Sie nicht zu Ihrem Pferd, sondern gestatten Sie Ihrem Pferd, zu Ihnen zu kommen, auch wenn Sie eine Stunde damit verbringen. Dieses Training lohnt sich 20mal mehr als ein verkorkster Ausritt und ist für Sie eine gelungene Tagesaufgabe. Solche Kleinigkeiten werden gerne übersehen. Sie sind aber das Wichtigste in der vertrauensvollen Beziehung zwischen Ihnen und Ihrem Pferd. Auch Putzen ist eine Tagesaufgabe. Ist Ihr Pferd beim Putzen unruhig und bleibt nicht stehen, müssen Sie handeln: Stellen Sie Ihr Pferd immer wieder auf den Platz, an dem Sie es haben wollen. Achten Sie darauf, daß es auch so bleibt. Korrigieren Sie konsequent, ruhig und automatisch. Stellen Sie sich vor, Sie seien ein Elektrozaun: er hat keine Emotionen, kennt keine Rache und ist 100prozentig konsequent. Pferde fühlen sich mit dieser Behandlung wohl, auch wenn sie einem Menschen seelenlos erscheint. Pferde brauchen keine Seele; sie brauchen Sicherheit. Erst wenn die da ist, dürfen Sie anfangen zu schmusen. Ein sorgenvolles (unsicheres) Pferd kann weder zuhören noch lernen, sondern wird in seiner Unsicherheit gefährlich.

 

 

SIE BESTIMMEN DAS ZIEL !


Planloses Arbeiten bringt Sie nicht weiter und verunsichert Ihr Pferd. Wer ohne Plan mit Pferden arbeitet, ist nicht unberechenbar. Unberechenbare Dinge mögen Pferde nicht. Sie müssen vor jeder Arbeit mit dem Pferd genau überlegen, was Sie tun wollen. Sie brauchen vor allem ein Tagesziel, so bescheiden es sein mag. Nur wenn Sie ein Ziel haben, können Sie es erreichen. Nur mit einem Ziel können Sie den richtigen Zeitpunkt für das Ende Ihrer Arbeit finden. Ein Beispiel für ein falsches Ziel: "Irgendwann will ich mal aufs Turnier." Das ist vage formuliert, läßt Ihnen tausend Schlupflöcher und führt vermutlich dazu, daß Sie hundert Jahre gemütlich vor sich hintrainieren. Dieses scheinbar pferdefreundliche Verhalten ("alle Zeit der Welt") ist in Wahrheit eine wohlfeile Entschuldigung für beliebiges Dümpeln statt klar strukturierter Ausbildung. Sie müssen ein Ziel haben. Sie erreichen es, wenn Sie das Training Schritt für Schritt aufbauen.

 

 

KLEINE SCHRITTE FÜR GROSSEN ERFOLG !


Teilen Sie Ihre Ziele wie eine Pizza. Stellen Sie sich vor, sie haben viele kleine Tortenstücke. Erst einmal bedeuten sie nichts; aber je mehr Stücke Sie addieren, um so eher erhalten Sie einen ganzen Fladen. Aus einem Pizzastück (zwei Tritte über die Vorhand) wird so, setzen Sie es mit anderen Stücken zusammen, ein Spinn oder eine Pirouette. Gehen Sie erst zum nächsten Schritt, wenn der vorherige sitzt. Wenn Ihr Ziel Galoppzirkel heißt, achten Sie zuerst darauf, daß Sie und Ihr Pferd die Zirkel im Schritt sauber und exakt meistern. Erst dann üben Sie im Trab. Sitzt das, bekommen Sie den Galoppzirkel fast geschenkt.

 

 

 Erklärung ist wichtig.

 

 

EICHEN SIE IHR PFERD AUF SIE !


Sie dürfen nie die Aufmerksamkeit Ihres Pferds verlieren. Das Ende Ihrer Konzentrationsfähigkeit bedeutet automatisch das Ende eines sinnvollen Trainings. Tempo und Richtung bestimmen immer Sie. Dazu brauchen Sie Konzentration - jenes unsichtbare Band zwischen Mensch und Pferd, das stärker ist als jede Longe und zerbrechlicher als Glas. Arbeiten Sie mit weichen, aber konsequenten Zügelhilfen. Das Nachgeben ist Ihr Schlüssel zum Erfolg: Sie bauen Druck auf und geben SOFORT nach, wenn Ihr Pferd Ihnen entgegenkommt. Das ist die beste Belohnung für Ihr Pferd und hilft ihm schneller lernen.

 

 

ZURÜCK ZUM LEICHTEN


Haben Sie Probleme oder verstehen Sie Ihr Pferd plötzlich nicht mehr, kehren Sie zurück zum Einfachen, der Basisarbeit. Beginnen Sie unbekümmert von vorne, als sei ihr Pferd gerade angeritten. Können Sie mit Ihrem Pferd keine anständigen Trabzirkel reiten, klappt es im Galopp auch in 100 Jahren nicht.

 

 

Das Be-StrictTraining beginnt... 

 

 

MACHEN SIE IHREM PFERD DAS RICHTIGE ANGENEHM UND DAS FALSCHE UNANGENEHM !


Benimmt sich Ihr Pferd falsch, bauen Sie Druck auf (Zügelzug, Ruck am Halfter, Stimme). Verhält sich Ihr Pferd richtig, geben Sie sofort nach oder loben. Das "sofort" ist dabei der entscheidende Punkt: Ihnen bleiben nur 1 bis 2 Sekunden, um Ihrem Pferd zu zeigen, ob etwas richtig oder falsch war. Jede Reaktion danach kann vom Pferd nicht mehr zugeordnet werden und verwirrt es. Pferde verknüpfen nur in maximal drei Sekunden Ursache und Wirkung und haben so die Chance zu lernen.

 

 

DAS PFERD HAT NIE SCHULD


Strafen Sie nie, weil Sie glauben, Ihr Pferd veräppele Sie. Pferde können Menschen nicht bewußt ärgern, denn sie bewerten Situationen nicht nach menschlichen (moralischen) Gesichtspunkten. Widersetzt sich Ihr Pferd, hat es Sie nicht verstanden, ist überfordert oder empfindet Schmerz und hat Angst. Pferde machen aus ihrer Sicht immer alles richtig. Jedes Pferd geht mit seinem Herdenmitglied (Mensch) bis zu jenem Punkt, zu dem es ihm noch vertraut. Ist dieser Punkt erreicht, versucht das Pferd, selber für seine Sicherheit zu sorgen. Das wirkt sich bei jedem Pferd anders aus: Der eine buckelt, der andere geht durch, der dritte trippelt nervös auf der Stelle. In allen Fällen ist es Fluchtverhalten. Sie müssen den Punkt immer weiter hinauszögern, an dem das Pferd die Entscheidungen alleine trifft. Nicht flüstern, sondern sprechen.

 

 Nicht flüstern, sondern sprechen.

 

 

NEHMEN SIE IHREM PFERD DIE ENTSCHEIDUNGEN AB


Sobald ein Pferd in Ihren Augen einen Fehler macht, hat es die Entscheidung bereits getroffen. Wenn Sie aufmerksam mit Ihrem Pferd arbeiten, spüren Sie bald, wann Ihr Pferd unsicher und damit von Ihnen nicht mehr beherrschbar wird. "Nicht beherrschbar" heißt in diesem Fall: Es trifft eigenmächtige Entscheidungen. Wenn Sie die Fragen Ihres Pferds konsequent beantworten ("Soll ich bremsen oder nicht?"), wird es Ihnen bald vertrauen. Es verzichtet auf Entscheidungen. Sie merken das, indem das Pferd für Sie scheinbar immer weniger Fehler macht.

 

 

BLEIBEN SIE SOUVERÄN


Mit menschlichen Gefühlen wie Enttäuschung, Wut, Zorn oder Mitleid können Pferde nichts anfangen. Der Mensch neigt dazu, zuviel in sein Pferd hineinzumenscheln. Ständig sucht er nach Erklärungen und Ursachen für das Verhalten seines Pferds, denkt dabei aber wie ein Mensch und nicht wie ein Pferd. All diese Gefühle und Handlungen verunsichern das Pferd und kosten wertvolle Vertrauenspunkte. Bedenken Sie immer, daß Pferde in der Regel ihre Konzentrationsgrenze nach 20 Minuten erreichen.

 

 

BEENDEN SIE JEDE ÜBUNG MIT EINEM ERFOLG !


Machen Sie nie, nie, nie den Fehler, Ihr Pferd für gute Arbeit zu bestrafen. Das geht blitzschnell und ohne, daß Sie es wollen. Wenn Sie denken: "Heute geht's besonders gut, da versuche ich gleich noch mehr", haben Sie Ihr Pferd bereits bestraft, weil Sie ihm trotz guter Leistung noch mehr Arbeit zumuten.

 

 

DENKEN SIE NACH !


Nehmen Sie sich kurz die Zeit, jeden Tag mit Ihrem Pferd noch einmal zu überdenken. Auf diese Weise erkennen Sie, woran Sie als nächstes arbeiten müssen.

 

Vertrauen ist der Anfang von allem.

 

 

 

BETRACHTEN SIE DIE WELT MIT DEN AUGEN IHRES PFERDES


Aus dem Blickwinkel Ihres Pferds sieht die Welt ganz anders aus. Ihr Pferd ist ein BEUTETIER. Diese Tatsache ist unabänderlich. Es ist in seinen Genen verankert, Unbekanntes automatisch als gefährlich einzustufen. Alles, was Ihr Pferd nicht kennt, stuft es als Pferdefresser ein, der nach seinem Leben trachtet. Ihr Pferd sieht Bewegungen im Bereich von 0,4 Millimeter. Es sieht sogar, wenn sich ein Haar krümmt. Außerdem könnte es einen Kinofilm in Einzelbildern sehen, denn es erkennt 2,5 Bilder mehr pro Sekunde als der Mensch. Pferde sind Formenseher: Sie erkennen kleinste Veränderungen an einem Objekt oder in ihrer Umgebung - und das bereits, wenn sie es zum 2. Mal sehen. Die Gehirnhälften von Pferden arbeiten anders als bei Menschen. Die Gehirnhälften sind zwar vernetzt, tauschen aber Informationen nicht so schnell aus wie beim Menschen. Da jedes Auge mit einer Hälfte verbunden ist, müssen Pferde alle Dinge von beiden Seiten kennenlernen.

 

 

DENKEN SIE WIE IHR PFERD !


Das Verhalten von Pferden unterscheidet sich wesentlich von dem der Menschen. Pferde lösen Probleme (Angst, Unsicherheit) durch Flucht, das ist ihr unabänderliches Programm. Die Flucht nimmt dabei verschiedene Formen an: Die einen steigen oder buckeln, die anderen trippeln nervös auf der Stellen. Beispiel: Ihr Pferd sieht eine Katze, bockt Sie aus Furcht ab und schaut wieder nach dem gefährlichen Raubtier. Die Katze ist verschwunden. Schnell verbinden kluge Pferde das Buckeln mit der Lösung des Problems bzw. Bewältigung der Gefahr (Katze ist weg). Das reicht oft schon, um ein Verhaltensmuster zu installieren: Ihr Pferd versucht künftig, seine Probleme mit Buckeln zu lösen.

 

 

BIETEN SIE IHREM PFERD SICHERHEIT !


Pferde brauchen einen Vordenker, einen der Entscheidungen trifft, vor allem in bedrohlichen Situationen. Das macht für ein Pferd das Leben geborgen und bequem. Ist kein Entscheider da, muß das Pferd selbst aktiv werden. Dieser Zustand verunsichert die meisten Pferde, wodurch sie noch hektischer oder schreckhafter werden, Motto: Hilfe, ich bin für mich selbst verantwortlich." Damit sich ein Pferd geborgen fühlt und die Entscheidungen anderer akzeptiert, braucht es einen klaren Platz in der Rangordnung. Haben sie den nicht, entscheiden sie sich meist für Flucht oder Fluchtverhalten. Wenn Sie nicht aufpassen und die ständigen besorgten Fragen Ihres Pferds an Sie ignorieren, wird Ihr Pferd niemals auf Sie achten - und Ihre Entscheidungen ignorieren. Statt dessen müssen Sie die Fragen des Pferds beantworten. Beispiel: Ihr Pferd sieht etwas und fragt: "Hey, was tun wir? Ich habe etwas Bedrohliches gesehen." Wenn Sie jetzt nichts tun, trifft Ihr Pferd die Entscheidung. Dabei interessieren es drei Dinge: Fortpflanzung, Fressen und ÜBERLEBEN. Wir wissen, daß es bei uns keine Raubtiere gibt, aber die Pferde wissen das nicht. Deshalb kann sie eine Plastiktüte zum Durchdrehen bringen. Die Welt der Pferde ist aus menschlicher Sicht grausam und kalt. Mitleid oder Liebe in unserem Sinne gibt es nicht, auch wenn wir das immer gerne glauben wollen. Wir versuchen gerne, Pferdeverhalten mit menschlichen Zügen zu erklären und scheitern genau aus diesem Grund sehr oft an unseren Zielen. Unser großer Vorteil gegenüber dem Pferd ist eindeutig das Wissen, daß ein Holzhaufen kein Raubtier ist, auch wenn Pferde das glauben. Wir müssen daher klar und deutlich zeigen, daß wir Bescheid wissen und unser Pferd sicher durch die vermeintliche Gefahr lotsen.

 

 

© Michael Geitner